Klaus Küster

Über "Secret Garden"


„Am Anfang war das Wort“ so heißt es im Johannes-Evangelium. Am Anfang war das Licht. Am Anfang war das Bild. So, oder so ähnlich beginnen verschiedene Welterklärungsmodelle.

Und schließlich: am Anfang war der Raum. Diese Sicht ist elementar im Sinne unserer eigenen Körperlichkeit, deren räumliche Orientierung im Wort be-greifen manifestiert wird, und uns veranlasst, die Welt vom Weltraum bis zum Schneckenhaus in Räumen zu definieren.

Hierzu gehört die Streichholzschachtel ebenso wie eine Kamera, eine Samenkapsel ebenso wie eine Lautsprecherbox und eine Herzkammer, Häuser und Gefängniszellen ebenso wie Kühlschränke und Gärten. Der Begriff des Raumes hatte sich mit den mühsamen Behausungsfortschritten der früheren Menschheit dem Begriff Architektur genährt. Dem sesshaft gewordenen Menschen genügte es bald nicht mehr, ein Haus zu bauen. Ein Grab musste her, um ihn über den Tod hinaus zu behausen; Monumente, damit man sich seiner glorreichen Lebendigkeit erinnert; Altäre, wo er zu seinen Göttern beten könnte; Paläste, um der Macht der Regierenden Ausdruck zu verleihen und als Paradies-Surrogate die Gärten. Daran hat sich bis heute prinzipiell nichts geändert. Wände und Mauern, gleichgültig aus welchen Materialien gebaut, begrenzen Räume von Räumen, definieren Innen von Außen bis hin zu Abstraktion, etwa für Gebiete, in denen z. B. eine soziokulturell oder politisch Raumordnung Anwendung findet. Das mit abstrakten Begriffen aufgeladene, belebte Verhältnis von Innen und Außen von Privatem und Öffentlichem, von Feindschaft und Freundschaft, Einsamkeit und Gesellschaft ist das Terrain in dem Magdalena von Rudy der Imagination von Räumen Form gibt. Den modellhaften Charakter ihrer plastischen Arbeiten verbindet sie allerdings nicht mit wirklichen baulichen Absichten. Ihre Miniaturen sind eher geistige Modelle und wie ihre Zeichnungen, fertige und dennoch nicht abgeschlossene Bilder, denn indem wir sie verwirklichen, imaginieren wir in uns ihre Fortsetzung.

Im Gesamtbild vom geschlossenen, heimlichen Garten, dem Ausstellungsthema spielt die Künstlerin auf jenen hortus conclusus des alten Orients an, mit dem seit Salomons Zeiten verschiedene sinnbildliche Paradiesvorstellungen verknüpft sind.

Nur in ihm, so scheint es, lässt sich der unbotmäßige, gleichwohl lustvolle Tausch von Innen und Außen, das Umstülpen von Oben und Unten verwirklichen, um endlich jenseits aller Konventionen und gesellschaftlich geregelter Planbarkeit eine Utopie auszuleben. Der hortus conclusus wurde in doppeldeutigen Zeugnissen des Mittelalters auch als „Garten der Freuden“ und deshalb aus christlicher moralisierender Oberaufsicht mit Verderbtheit und Lasterhaftigkeit in Verbindung gebracht.

Heute würden wir diesen „geheimen Garten“ eher aktualisieren als einen geistigen Raum für Wiederständiges, dessen Programm von konstruktivem Ungehorsam bestimmt ist, in dem sich ein anarchistisches Kreativ-Potenzial ungehindert ausleben kann; ein geheimes Paradies, in dem die Architektur befreit ist von Zeichen und Formen ökonomischer Strukturen und kultureller Machtausübung.

Magdalena von Rudys hybride Räumlichkeiten aus simplen, gefundenen, billigen Materialien sind augenscheinlich ver-rückt und wirken instabil, sind jedoch durchaus stabil; so stabil wie die Baumbuden und anderen Räume, die wir als Kinder unbefangen und frei von sklavischer Abhängigkeit ganz spontan bauten, und in denen sowohl der exakte rechte Winkel als auch eine amtlich genehmigte Statik entbehrlich waren. Trotzdem, oder gerade wegen dieses „Mangels“ waren sie aus unserer Sicht schön, weil wir nicht als Entwerfende eine Formel für unsere Kindheitsarchitektur fanden, sondern die räumlichen Dinge, die Maßstäbe, die Proportionen fanden uns. Von dem bedeutenden, 1989 gestorbenen ägyptischen Architekten Hassan Fathy stammten die Worte: „Gerade ist eine Linie der Pflicht, gebogen ist der Weg der Schönheit. In einem schönen Haus hat die Seele die Chance zu wachsen und zu fliegen.“ Diese Überzeugung scheint auch Magdalena von Rudy zu vertreten, wenn sie in Gesprächen ihre Vorliebe für die traditionelle mediterrane Bauweisen schildert: ihre kargen archetypischen Formen, deren ästhetische Belange mittel- und bedürfnisbedingt von zeitlich längeren Bauprozessen als die unseren geprägt sind. Nachdem ein einfacher Kubus als notwendige erste Behausung gebaut ist, kann es dauern, bis spontan weitere, manchmal gekrümmte Raumkörper, als Ein- und Ausbauten mit womöglich begehbaren Dächern „angedockt“ werden, und schließlich ein ansehnlich verschachteltes Ambiente ergeben.

Mit welchen Bedeutungen aber das verschachtelte Environment eines Schrankes und weiterer, vornehmlich mit puren hölzernen Oberflächen versehener Teile aufgeladen ist, werde ich ihnen nicht verraten. Zu dieser Arbeit gehört eine halbstündige, über zwei Lautsprecherboxen hörbare Erzählung der Künstlerin über die Provenienz und die, in der Miniatur nicht sichtbare, Beschaffenheit der dort angehäuften Gegenstände.

Ihre Anregungen, auch solche für ihre sonderbar belebten Pinselzeichnungen, bezieht Magdalena von Rudy aus Erlebnissen in und mit realen und virtuellen Räumen, so auch als Filmen. Wer schon Computerspiele für unter 18-jährige Jugendliche erlebt hat, ist sich über die Herkunft des grünen Blutes in manchen der Zeichnungen bereits im Klaren. Und wer sich durch absurde Inhalte allzu sehr irritiert fühlt, möge den mathematisch inspirierten, pulsierenden, waagerechten und senkrechten Linien folgen. Lassen Sie mich nun diese Einstimmung abschließen mit einem weiteren Zitat des Architekten Hassan Fathy: „ Es gibt eine heilige Geometrie der Pharaonen. Räume haben eine heilsame Wirkung. Das sind Geheimnisse, die wir zurückgewinnen müssen“.