Sebastian Paul

"Rendezvous"

Zu einigen früheren Videoarbeiten Magdalena von Rudys


„Each film depends upon all the others and drives you on to others.”

Jim Morrison1

 

Ouvertüre

 

"Jedes Element - gleich woher es stammt - kann zum Gegenstand neuer Annäherungen werden.", schrieben Guy Debord und Gil J. Wolman zur "Theorie der Entwendung". Jenseits drohender Beliebigkeit galt ihr Interesse besonders den Möglichkeiten des Mediums Film.2

Als Entwendung ließe sich eines der grundlegenden künstlerischen Verfahren charakterisieren, das Magdalena von Rudy in ihren digitalen Videoarbeiten praktiziert: Ein planvolles Collagieren und Umgruppieren von Formen und Vermittlungsweisen der Massen- und Hochkultur mit kritischem Impetus. Von Rudys Digitalvideos sind filmisch konstruierte Situationen, die auf die Irritation gewohnter Rezeptionsweisen hinarbeiten. Sie sind Materialbegegnungen, Resultate einer Passion für das Spielerische, für das Kino und das Theater.

 

In ihren Kurzfilmen unternimmt von Rudy die Zusammenführung unterschiedlicher optischer und tonaler Elemente, die mit Vorliebe dem Referenzsystem "Hollywoodfilm" angehören. Charaktere und akustische Fragmente aus Filmen sowie kunst- und kulturgeschichtliche Verweise begegnen sich in ästhetisch streng strukturierten, minimalistisch-artifiziellen Szenarien. Mit den Möglichkeiten digitaler Bearbeitung versetzt die Künstlerin filmgeschichtliche Prominenz in neuartige Bild-Ton-Konstellationen, indem sie meist bekannte Figuren unterschiedlichen Geschlechts mit dem Tonmaterial anderer Filme konfrontiert. Das Spannungsverhältnis der Bedeutungsebenen von Bild und Ton erzeugt unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten für die Betrachter/innen.

Die Arbeiten gravitieren hierbei um die Wandlungsfähigkeit und bewusst theatralische Performance der Künstlerin, welche durch die Aussparung von Schnitten und Kamerabewegungen an Eindringlichkeit gewinnen.

Es ist besonders die Kategorie „Geschlecht", die als ein Effekt kultureller Inszenierungen in diesen Videos sichtbar wird. Täuschende Harmonisierungen, die androgyne Hybris der im Bildraum verdoppelten Personen, besonders aber von Rudys Travestie und die von ihr vorgenommenen Mischungen geschlechtsspezifischer Merkmale entgrenzen das Terrain herkömmlicher Identifizierungen. Dieser spielerisch-experimentelle Vollzug von Verkehrungen und (Neu-)Kombinationen deutet auf die Instabilität und Veränderbarkeit normierter Zuschreibungen. Im gleichen Zuge werden gegenüber heterosexuell kodifizierten Verhaltens- und Wahrnehmungsmustern kritische Energien mobilisierbar. Wie Judith Butler zum Subversionspotential von „drag“ ausführte, sind auch von Rudys Filme in dem Maße subversiv, in dem sie die Imitationsstruktur widerspiegeln, „von der das hegemoniale Geschlecht produziert wird". Sie stellen „den Anspruch der Heterosexualität auf Natürlichkeit und Ursprünglichkeit" zur Diskussion.3

 

Die Brisanz dieser Filme liegt nicht allein in der Unmöglichkeit, sie in der Dechiffrierung oder Sondierung ihrer medialen Bausteine zu erschöpfen. Ein Erkennen des verarbeiteten kulturellen Bild- und Tonrepertoires vervielfacht die möglichen ästhetischen und intellektuellen Zugänge zu diesen Werken.

Die nachfolgenden Bemerkungen sind Annäherungsversuche an einige frühe Filmarbeiten Magdalena von Rudys. In ihnen suchte ich die Verbindung persönlichen Erlebens mit theoretischen Positionen. Die Vielheit möglicher anderer Lesarten möchte dabei ins Blickfeld rücken.

 

 

Versteinerungen: „Medusa“

 

„Der Kinobesucher ist in einer ähnlichen Lage wie eine hypnotisierte Person.“

Siegfried Kracauer4

 

In einer Schlüsselszene von David Lynchs Film „Blue Velvet“ bindet der Psychopath Frank (Dennis Hopper) seine Lust an der sexuellen Brutalisierung der Nachtklubsängerin Dorothy (Isabella Rossellini) an ein striktes Blickverbot: „Schau mich nicht an, du Fotze! Du Fotze, schau mich nicht an!" Unerträglich scheint es für ihn, in den Augen der Vergewaltigten ihr Subjektsein zu erinnern. Denn eben dieses würde sein sadistisches, auf Verdinglichung basierendes Lustsystem lähmen, versteinern. Frank ist ein Geschöpf des Dunkels, in dem die Blicke der/des anderen nichts bewirken. Licht soll ihm einzig die Qualen ausleuchten, die er Dorothy und anderen zufügt. Die am Boden Liegende befindet sich im Blick- und Machtfeld gleich zweier Männer. Für den im düsteren Schrank verborgenen Beobachter, den jungen Jeffrey (Kyle MacLachlan), ist dieses Szenarium als Initiation angelegt. Frank und Jeffrey glauben sich, als Voyeure, sicher vor der Reversibilität ihrer Blicke.

Magdalena von Rudys ungemein dichte Videoarbeit „Medusa" verbindet auf mehrfache Weise die mythologische Gestalt der Gorgo mit Lynchs verstörender Mär von Blicken und schmerzhaften Lüsten. Als von den Göttern Abgestrafte ließ die deformierte Medusa bekanntlich jede ihren Blick kreuzende Kreatur zu Marmorstein erstarren.

Wie schon der Werktitel verweist die filmische Situation in ihrer Statik, Ausleuchtung, chromatischen Tönung und Zentrierung der Dargestellten unumwunden auf Michelangelo de Caravaggios Gemälde „Medusa" (1666). In dessen kreisrunden Rahmen findet Rossellinis Figur Dorothy (Magdalena von Rudy) als Medusenhaupt zur markanten Sprache Jack Nicholsons aus dem Militärjustizdrama „Eine Frage der Ehre". Die Locken der betörenden Dorothy sind das Schlangenhaar der Medusa. „Doch nichts an ihr war schöner als ihr Haar.", hatte Ovid von der Gorgo gedichtet.5 Europäische Kunstgeschichte und griechische Mythologie beleben sich im Nexus des amerikanischen Thrillerkinos.

Auf der akustischen Ebene des Videos findet sich eine ähnliche Komplexität. Die Bearbeitung des Tonmaterials, das von Rudy mit intensiver Mimik synchronisiert, ist von frappierender Konsequenz: die Künstlerin schnitt den Verhördialog zwischen Nicholson und seinem Widerpart (Tom Cruise) zur monologischen Tirade. Dass die Predigt von männlichem Kampf gegen allgegenwärtige Gefahren von Außen nun keinen Einspruch, keinen Anderen mehr kennt, lässt an die verbale Gewalt de Sadescher Figuren denken. Die meist weiblichen Opfer, die Sade literarisch zu endlos repetierten Zerstörungen reiht, sind immer auch Unterliegende einer rhetorischen Gewalt seitens ihrer Henker, die jeden Dialog ausschließen. Die Selbstherrlichkeit Nicholsons gerinnt so zum phantasmatischen Massaker am amputierten Gegenüber. Dessen Leerstelle nehmen nun die gebannten Betrachter/innen des Films ein: stumme Adressaten einer Rede, die weder Antwort erwartet noch zulässt.

In diesem Punkt ließe sich von Rudys „Medusa" einem ganzen Corpus kritischer Medientheorie zueignen. Am markantesten beschrieb vielleicht Jean Baudrillard, hierin Debord folgend, die Massenmedien als ein dynastisches "Nicht-Kommunikation" fabrizierendes System aus endlos vor dem Zuschauer ablaufender Bänder, das unilateral jeden Tausch abschaffe.6 Derart wird die in von Rudys Video materialästhetisch vollzogene Löschung des anderen als gewaltförmige Grundstruktur medialer Ströme vorstellbar. Vielleicht würde „Medusa“ einen Kinobesucher diesen Aspekt noch physischer spüren lassen. Dessen erzwungene Passivierung versteht Boris Groys als Zustand ontologischer Ohnmacht, Paralyse und körperliche Immobilität7. Der museale Raum, der ein freies Flanieren ermöglichen soll, regt zur kritischen Reflektion dieses Verhältnisses an.

In Anspielung auf Minervas Schild, die „Ägide" mit dem Medusenhaupt, hatte Caravaggio seine Leinwand einem runden Schutzschild aufgezogen. Ließe sich dieser heute nicht durchaus als Bildschirm deuten?

In einer psychoanalytischen Studie über Lynchs filmisches Universum wies Anne Jerslev darauf hin, dass besonders „Blue Velvet" unterschiedliche Positionen und Identifikationsmöglichkeiten anböte, die sich jenseitig der traditionellen Gegenüberstellungen von männlich/aktiv und weiblich/passiv ansiedeln.8 Von Rudy knüpft, scheint mir, exakt an jene Szene bei Lynch an, in der sich Jeffrey seinerseits der begehrlichen Offensive Dorothys schamvoll unterwirft. Hier wird die vorherige Machtsituation einer eindrucksvollen Umkehrung unterworfen: aus dem Blickverbot Franks wird die Schweigen gebietende Bedrohlichkeit von Dorothy-Medusa.

Auch die Transponierung der Tonhöhe des Filmsamples, das als genuin männliche Synchronstimme erkennbar bleibt, tritt mit dem betont femininen Äußeren Dorothy-Medusas in befremdliche Wechselwirkung, damit durchaus den stimmlichen Verfremdungen der Performances Laurie Andersons nahe. Anderson verwandte diese Technik, ursprünglich aus Protest gegen die Hegemonie männlicher Klangmuster im Kunstbetrieb, zur Erforschung der geschlechtlichen Codierung von Macht in Sprechsituationen.9

Von Rudys pointierte Umsetzung der verführerischen Dorothy-Medusa verleiht der militaristischen Selbstberauschungsrede Nicholsons einen durchaus erotischen Subtext. Jene unheimliche Legierung aus Sexualität, Gewalt und Genuss legt den libidinösen Kern kriegerischer Vernichtungsaktionen bloß. Zugleich transportiert sie die von Georges Bataille konstatierte, unlösbare Verknüpfung von Erotik und Vernichtung als nachdenklich stimmenden Topos.10

 

 

Love and Rockets: “Pronuncio amor”

 

“Sex is more exciting on the screen and between the pages than between the sheets anyway.”

Andy Warhol11

 

Auch in „Pronuncio: amor" erwachsen Irritationsmomente aus der Kopplung disparaten Bild- und Tongeschehens: Der von Keuchen, Stöhnen und splitternden Geräuschen durchzogene, durch gezielte Schnitte zum Stammeln fragmentierte Dialog zweier Liebender begegnet der statischen Haltung einer in den kosmischen Filmraum von Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum" gedoppelten Darstellerin (von Rudy). In der mondänen Aufmachung einer Greta Garbo oder Joan Crawford - Exponentinnen androgyner Kühle - wird nur von Rudys Gesichtsfeld von lasziven Zuckungen durchquert. Das akustische Treiben wird hier mit eleganter Beiläufigkeit quittiert. Es vermag die Körper nicht mehr in ihrer Ganzheit zu affizieren: Stattdessen dominiert die lakonische Registratur einer Lust, die sich einzig im Hörbaren als amouröse Erregung bemerkbar macht.

Ist „Pronuncio: amor" darin nicht ein anschaulicher Kommentar zu Michel Foucaults Hypothese eines verhörten, sprechenden Sexes? Jener die Moderne kennzeichnenden Besessenheit der diskursiven Durchforstung alles Sexuellen, die Foucault als „Wissen von der Lust, Lust, die Lust zu wissen, Lust-Wissen" zu fassen suchte.12

Die im Werktitel versprochene „Betonung der Liebe" spiegelt sich im Bildhaften als die aller pornographischen Mechanik innewohnende Unglaubwürdigkeit simulierter Erregung. Slavoj Zizek hatte die völlige Entsublimierung der Sexualität als einen Prozess gekennzeichnet, in dem sich „eine ebenso intensive wie leidenschaftliche Erfahrung in eine kalte, apathische, mechanische Übung verwandelt."13 Die Klangspur fügt sich mit der Bildebene zur Installation einsamer Körper im Vakuum der Beziehungslosigkeit.

Die Beziehung der Filmquellen zueinander eröffnet, scheint mir, einen Zugang zur Gesamtkomposition. Die aus Francis Ford Coppolas Verfilmung von Bram Stokers „Dracula" entwendeten Tonfragmente künden, wie auch Kubricks Sci-Fi-Epos, vom menschlichen Wünschen nach Fortgetragensein in ein Anderswo jenseits bekannter Topographien. Dort ist von Sehnsucht nach Vereinigung, Ewigkeit, Gewissheit die Rede. Die Nüchternheit interstellarer Leere, in der Kubricks Raumschiff rotiert, verhält sich zur Unaussprechlichkeit der planetaren Erhabenheit dieser Schöpfungsgeschichte ebenso wie die elegante Gelassenheit der Pose „Garbos“/von Rudys zur Exstatik der Tonspur. Dort ringen Dracula (Gary Oldman) und Minna Harker (Winona Ryder) nach Worten der Verzückung. Profane Realität begegnet sakraler Erhabenheit.

Die Leidenschaft des romantischen Ungeheuers Dracula bediente sich schon in Stokers Roman moderner Technologien des Transports von Körpern und Zeichen, ebenso so sehr wie sie mit diesen in einen Wettstreit trat, der die eigentliche Handlung des Buches bestimmt.14 Auch Kubricks Film ist ein Essay über verändertes Menschsein in einer technologisch zugerichteten Welt unentwegter Beschleunigung und Grenzüberschreitung. In dieser scheint Liebe nurmehr ein zufälliger Aggregatzustand des monadischen Körpers und seiner flottierenden Begehren.

In der finalen Dehnung des Bildraums von „Pronuncio: amor“ kulminiert die Spannung gleichsam als orgasmische Entladung. Die fast schmerzhaft gesteigerte Klangdichte kollabiert im Pathos von Coppolas Soundtrack, der an das bekannte, durch Kubrick popularisierte, Zarathustra-Thema von Richard Strauss anzuschließen scheint.

 

 

Schach: ”Scena”

 

“The camera is androgynous machine, a kind of mechanical hermaphrodite.”

Jim Morrison15

 

Die dialogische Struktur eines Liebesstreits nutzt von Rudy in „Scena" ein weiteres Mal zur Verdoppelung ihrer Person und zum ironischen Spiel mit binären Geschlechtercodes. Dies vollzieht sich in einem ebenfalls synthetischen Versuchsraum, dessen Schachbrettmusterung und Winkelstruktur nicht nur die im Video thematisierte sexuelle Differenz ironisiert, sondern auch den rituell-spielerischen Charakter des stattfindenden verbalen Schlagabtausches kommentiert.

Die in männlichen und weiblichen Part gespaltene Künstlerin von Rudy visualisiert in voneinander abgekehrten Haltungen, das Gegenüber nur um die Ecke und über die Schulter ansprechend, den finalen Dialog aus Stanley Donens Hollywood-Romanze „Indiskret" (1958). In dieser wird der Lebemann Philip (Cary Grant) durch die plötzliche Offensive der liebenden Theaterdiva Anna (Ingrid Bergman) von der Unverbindlichkeit seines bisherigen, egozentrischen Beziehungsentwurfs abgebracht: Das von ihr angedrohte Fortleben in wilder Ehe stößt dem bigotten Heiratsunwilligen als narzisstische Kränkung auf. „Weibliche Tränen" und gravierende Trennungsangst geben ihm, in dieser als Streit getarnten Balz, den Rest.

Schwellende Schlussakkorde beenden auch hier ein ästhetisches Verfremdungsszenario, in dem etwas nicht stimmt, nicht zu passen scheint. Die Travestie der Akteurin bündelt die in „Indiskret" allenfalls halbherzig befragten Geschlechterklischees in einem einzigen Körper. Wem die personelle Verdoppelung von Rudys nicht aufgeht, wer tatsächlich weibliche und männliche Körper agieren sieht (oder sehen möchte), würde lediglich einer amüsanten Theaterszene beiwohnen. Für Synchronisationen ist eine um Eindeutigkeit bemühte Separierung geschlechtsspezifischer Tonlagen nach wie vor typisch. Dass dies nicht ohne beträchtlichen Einfluss auf die visuelle Wahrnehmung (und Bewertung) des Gesehenen bleibt, ist ein, meine ich, zentraler Ansatz von „Scena“. Vielleicht stellt jenes Spiel mit der wechselseitigen Bedingtheit von Erwartung und Wahrnehmung überhaupt einen interessanten Aspekt der Arbeiten von Rudys dar.

Dem schwülstigen Filmende, in dem die Affäre der Protagonisten schließlich zur Ordnung einer Liebesheirat findet, entgehen von Rudys Liebende sichtlich: beide verbleiben, ohne einen einzigen Blickkontakt, in voneinander abgewandter, nahezu bewegungsloser Pose. Zwischen ihnen die Wand. Bereit für neue Szenen aus der Fauna des romantischen Hollywood.

 

 

Selbstreflexion des Mediums: „Carrie vs. Miranda“ und „Shining“

 

„Der Film ist es, der den unter Begriffen und Worten verschütteten Menschen wieder zu unmittelbarer Sichtbarkeit hervorheben wird.“

Béla Balász16

 

Die durch Komposition vorgefundenen Filmmaterials entstandene Videoarbeit „Carrie vs. Miranda" sowie die experimentell-minimalistische Performance „Shining" reflektieren, noch intensiver als die bisher besprochenen Werke, auch die formalen und materiellen Eigenschaften des Mediums Video.

In „Carrie vs. Miranda" komponiert von Rudy das Bildmaterial zweier Filme durch Gegenschnitte zu einem eigenen Narrativ. In diesem begegnen sich zwei Mädchen mittels der Subtilität ihrer körpersprachlichen Zeichenproduktion als Kombattantinnen in einem virtuellen Duell. Das Video verweist so nicht nur auf seine Potentialität zur Herstellung von Realitäten durch Kopplung und Synthese disparater Fragmente. Es führt auch vor, wie sich die dramaturgische Struktur des klassisch männlich besetzten Western-Genres auf völlig anderes Bildmaterial übertragen lässt. Die formale Bezugnahme auf Varianten des Spannungsaufbaus von Western-Zweikämpfen hat von Rudy selbst betont.

Die bloße Analogisierung verhindert sie durch ihre Sabotage der erwarteten Katharsis, des Sieges – eine Umgehung, die sich, wie ich vermute, aus dem Gegenentwurf eines „femininen“ Beziehungsmodus herleiten könnte, der keine Unterliegende/n (= symbolisch Sterbende/n) kennen muss. Der Kampf mündet stattdessen in die zunehmend Fokussierung der Augenpartien beider Mädchen. Bis die Potenzierung des Zooms im elektronischen Pixelgestöber zum unendlichen und vagen Spiel mit der Möglichkeit aufgeht.

Die Video-Performance „Shining“ laboriert mit dem Verhältnis bewegter und unbewegter Bilder sowie ihrer Metamorphosen durch mediale Bearbeitung. Anhand einer über einen Zeitraum von 17 Minuten kaum variierten Bildstruktur ist der bewegte Oberkörper der Künstlerin sichtbar. Dessen konstante Bewegung durchläuft, ebenso wie die Tonspur, unterschiedliche Geschwindigkeitsstadien, die durch videotechnische Eingriffe bestimmt werden. Kurzzeitig zur ursprünglichen Aufnahmegeschwindigkeit zurückkehrende Phasen lassen das Geschehen als Jogging auf einem Laufband erkennbar werden.

Die extreme Verlangsamung von Bildfolgen zerlegt die Bewegung des Körpers in eine Staffelung von „Zeit-Bildern“ (Deleuze), die letztlich nichts mehr zu zeigen scheinen als ihre eigene Dauer. Wie Groys anmerkte, verdeutlichen die technischen Mittel von Video, DVD und PC durch beliebige Unterbrechungen der filmischen Eigenbewegung, „dass die filmische Bewegung keine reale, materielle, sondern eine illusionäre Bewegung ist, die genauso gut digital simuliert werden kann“. So wird Zeit, indem sich die bewegten Bilder von „Shining“ durch extreme Entschleunigung fast einem statischen Bild nähern, „nicht als Zeit der Bewegung im Filmbild, sondern als ungewisse, problematische Dauer des Filmbildes als solchem“ erlebt.17

Fast wird die erlösende Beschleunigung der zerdehnten Bilder und Klänge, gar der Abbruch der Projektion schmerzlich ersehnt. Interessanterweise erhöht sich die von diesen Bildern ausgelöste Spannung mit der Abnahme ihrer zeitlichen Veränderung. Denn der zunehmende Bewegungsverlust der Bildfolgen, ihr gleichsam visuelles Absterben, vermag als das quälende Erstarren einer „eigentlichen“, ursprünglichen, vitalen Dynamik erlebt werden, an deren Hypostase das ultra-rapide Styling gegenwärtiger Videoclips arbeitet.

Als keineswegs unerotische Bewegungsstudie macht „Shining“ Details und Feinheiten menschlicher Motorik sichtbar und unterwandert die Oberfläche routinierten (Über-)Sehens. In dieser Hinsicht wirkt die Arbeit wie das Rendezvous mit einem schönen Satz Jean-Luc Godards. Zu seiner Beschäftigung mit Video befragt äußerte er: „Ich möchte Verlangsamungen machen, um das, was man gewöhnlich nicht sieht, zu filmen.“18

 

 


1) Jim Morrison, The Lords. The New Creatures, London/New York/Sydney 1985, S. 18.

2) Guy Debord präsentiert Potlatch. Informationsbulletin der Lettristischen Internationale, Berlin 2002, S. 321.

3) Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt/M 1997, S. 178.

4) Siegfried Kracauer, Theorie des Films, Frankfurt/M 1975, S. 218.

5) Ovid, Metamorphosen, Stuttgart 1994, IV, S. 231.

6) Jean Baudrillard, Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen, Berlin 1978, S. 91 f.

7) Boris Groys, Topologie der Kunst, München/Wien 2003, S. 74 und S. 106.

8) Anne Jerslev, David Lynch. Mentale Landschaften, Wien 1996, S. 149.

9) RoseLee Goldberg, Laurie Anderson, New York 2000, S. 155.

10) Georges Bataille, Die Erotik, München 1994, S. 271.

11) Andy Warhol, The Philosophy of Andy Warhol (From A to B and Back Again), San Diego/ New York/ London 1977, S. 44.

12) Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M 1983, S. 97.

13) Slavoj Zizek, Liebe deinen Nächsten? Nein, danke!. Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne, Berlin 1999, S. 28.

14) Vgl. Friedrich Kittler, Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993.

15) Morrison, a.a.O., S. 28.

16) Béla Balász, Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, Frankfurt/M 2001, S. 19.

17) Groys, a.a.O., S. 87 und S. 66.

18) Jean-Luc Godard, Liebe Arbeit Kino. Rette sich wer kann, Berlin 1981, S. 25.